Mechanismen des Nervenwachstums während der Entwicklung: Pforte zur Regeneration

Prof. Dr. Frank Bradke, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Bonn

Fast jeder, der zum ersten Mal Neuronen unter dem Mikroskop  gesehen hat, ist fasziniert von ihrer Schönheit und ihrer komplexen Form. In der frühen Entwicklungsphase sehen Neuronen jedoch rund und einfach aus, ohne Anzeichen für ihre spätere Komplexität. Wie entwickeln Neuronen ihre komplexe Struktur? Wie bilden sie zunächst Bereiche aus, die später bestimmte Funktionen innerhalb neuronaler Schaltkreise  haben, wie z. B. das Axon? Und kann uns ein besseres Verständnis  der zugrundeliegenden Entwicklungsmechanismen dabei helfen, unter pathologischen Bedingungen Axone zur Regeneration anzuregen, wie z.B. bei einer Rückenmarksverletzung?

Hier werde ich über das Zytoskelett als treibende Kraft für die anfängliche neuronale Polarisierung und das axonale Wachstum sprechen. Anschließend werde ich untersuchen, wie Veränderungen des Zytoskeletts dazu beitragen, das Wachstumsprogramm verletzter ZNS-Axone zu reaktivieren,  um Regeneration nach einer Rückenmarksverletzung auszu- lösen. Schließlich werde ich erörtern, ob axonales Wachstum und Synapsenbildung sich gegenseitig ausschließende  Prozesse  darstellen könnten. Diese Entwicklungshypothese hilft uns, eine neue Perspektive auf das Versagen der Regeneration im erwachsenen zentralen Nervensystem (ZNS) zu entwickeln und neue Wege zur Überwindung dieses Problems zu finden. In diesem Vortrag wird daher beschrieben, wie wir Entwicklungs- mechanismen ausnutzen können, um die Regeneration bei Erwachsenen nach einer Rückenmarksverletzung zu induzieren.

Prof. Dr. Fank Bradtke forschte nach seinem Studium an der Freien Universität Berlin und dem University College London im Rahmen seiner Doktorarbeit am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. Als Postdoktorand wechselte er im Jahr 2000 an die University of California in San Francisco und die Stanford University.

Im Jahr 2003 wurde er zum Gruppenleiter am Max-Planck-Institut  für Neurobiologie in Martinsried ernannt. Im Jahr 2011 wurde er mit dem IRP-Schellenberg-Preis ausgezeichnet, einer der renommiertesten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Regenerationsforschung. Im selben Jahr wurde er zum ordentlichen Professor an der Universität Bonn ernannt und zum Leiter der Forschungsgruppe Axonwachstum und Regeneration am DZNE. Bradke ist gewähltes Mitglied der Leopoldina (der Nationalen Akademie der Wissenschaften),  der Academia Europaea und der European Molecular Biology Organization (EMBO). Im Jahr 2016 wurde er mit dem Leibniz-Preis  ausgezeichnet, dem wichtigsten Forschungspreis in Deutschland. Im Jahr 2018 erhielt er den Roger de Spoelberch Preis und 2021 wurde er mit dem Carl Zeiss Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2023 erhielt den internationalen Remedios- Caro-Almela-Preis für Forschung in der Entwicklungsneurobiologie.