Kleists „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ – über die Zweideutigkeit der Musik bei Kleist und verschiedene Leseansätze seiner Novelle

Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans, Ruhr-Universität Bochum

Kleists Novelle über ein rätselhaftes Kirchenkonzert und seine nicht minder rätselhaften Wirkungen liegt in zwei Versionen vor: als kurzer Beitrag für die „Berliner Abendblätter“ und als deutlich erweiterte Novelle. Sowohl die mysteriösen erzählten Ereignisse selbst als auch die Differenzen zwischen den Textversionen haben die Forschungsgeschichte intensiv beschäftigt. Die „Cäcilie“ wurde u.a. als Auseinandersetzung Kleists mit romantischer Musikästhetik, mit der Beziehung von Musik und Sprache, sowie mit Aufklärung und Wunderglauben gelesen. Vergleichsperspektiven ergeben sich mit Blick auf andere Texte Kleists, in denen Himmlisches und Höllisches, Engelhaftes und Teuflisches in ambigen Beziehungen stehen (wie etwa in der „Marquise von O.“), motivgeschichtlich auch unter dem Aspekt historischer Kontrastierungen von Engels- und Teufelsmusik, literaturgeschichtlich etwa im Vergleich mit Thomas Manns „Doktor Faustus“, wo die Musik als ‚zweideutige’ Kunst reflektiert wird.

Besonders ergiebig erscheinen Interpretationsansätze, die die Ambiguität der erzählten Ereignisse und ihrer narrativen Darstellung in Kleists „Cäcilie“ ins Zentrum rücken. Sind Mehrdeutigkeiten für die Cäcilien-Novelle konstitutiv (sowohl bei der Darstellung von ‚Musik’ als auch hinsichtlich deren ästhetischer Konzeptualisierung), so antizipiert Kleists Text gerade damit ein ‚oszillatorisches’ Schreiben, wie es in der literarischen Moderne zur nachhaltigen Herausforderung wird. Ebenso wenig, wie sich interpretierend erschließen lässt, was bei dem Kirchenkonzert ‚wirklich’ geschah, lässt sich aus dem Text eine bestimmte musikästhetische Positionierung herauspräparieren.

Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans nahm 1975 in Bonn ihr Studium der Germanistik und Philosophie, später auch der Italianistik und Kunstwissenschaft auf. 1980 legte sie das erste Staatsexamen für das Lehramt ab. 1984 promovierte sie in Bonn und arbeitete dort von 1983 bis 1989 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin. 1992 erfolgte ihre Bonner Habilitation für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft. Im selben Jahr auf eine C 3-Professur für Europäische Literatur der Neuzeit an der FernUniversität Hagen berufen, wechselte sie 1995 auf eine C 4-Professur für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Auslandsaufenthalte führten sie zweimal als Max Kade Distinguished Visiting Professor in die USA. Seit 2005 ist sie Mitglied der Academia Europea. Von 1999 – 2005 leitete sie die Deutsche Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft; von 2007 – 2017 die Jean-Paul-Gesellschaft. Seit ihrer Dissertation (Jean Pauls Ansätze zu einer Theorie der Sprache, 1986) und ihrer Habilitationsschrift (Schrift und Abwesenheit. Historische Paradigmen zu einer Poetik der Entzifferung und des Schreibens, 1995) rücken viele Forschungsarbeiten Formen literarischer Sprachreflexion in den Blick; dazu gehören auch Phänomene literarischer Mehrsprachigkeit. In den Blick geraten von hier aus schriftreflexive Texte und Konzepte, die graphische Dimension von Literatur, Modi poetischer Textgestaltung sowie die Beziehungen zwischen Sprachlichkeit, Schriftlichkeit und Bildlichkeit. Wichtige Arbeitsschwerpunkte haben sich in jüngerer Zeit um mehrere Forschungsprojekte gebildet, so um eines zur literarischen Adaption wissensbezogener Darstellungsmodi, etwa in Form literarischer Lexika, eines zur Beziehung zwischen Literatur und Künstlerbuch, eines zu alphabetischen Schreibweisen, eines zur Beziehung zwischen Literatur und Photographie sowie eines zum Zukunftsroman.

Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans ist seit 2017 Mitglied und seit 2022 stellvertretende Sekretarin der Klasse für Geisteswissenschaften der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.