Seine Arbeitsformel: Kein Fleiß ohne aussichtsreichen Beweis
Die Fields-Medaille gilt als Nobelpreis der Mathematik. Allerdings ist sie rein formal noch schwieriger zu ergattern. Sie wird nur alle vier Jahre an Forschende unter 40 Jahren vergeben. Gleichzeitig kann sie es in Sachen Popularität nicht mit dem Nobelpreis aufnehmen. Sie ist weniger bekannt und das gilt auch für die mit ihr ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das könnte man als ungerecht empfinden. Schließlich gibt es keinen Nobelpreis der Mathematik. Oder man betrachtet es als großes Glück, wenn man wie Gerd Faltings nicht so gerne im Rampenlicht steht. „Ich bin deshalb ganz zufrieden damit“, sagt der langjährige Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn.
Faltings ist das, was man gemeinhin als Überflieger bezeichnet, wobei er selbst betont, dass das für Forschende seiner Disziplin nicht außergewöhnlich sei. „Mathematiker sind meist früh dran. Zwischen 30 und 40 sind ihre besten Jahre. Danach wird man langsam senil“, sagt der 68-Jährige und stellt damit nicht zum ersten Mal in diesem Gespräch seinen Humor unter Beweis. Faltings promovierte mit 23, mit 27 berief ihn die Universität Wuppertal zum damals deutschlandweit jüngsten ordentlichen Professor für Mathematik. Mit 32 folgte die Fields-Medaille.
Faltings beantwortete eine Frage, die seit mehr als 60 Jahren ungelöst war
Überrascht habe es ihn nicht, dass ihn die Internationale Mathematische Union 1986 für diese höchste Auszeichnung in der Mathematik ausgewählt habe, verrät er im Rückblick. Mit Eitelkeit hat das nichts zu tun, sondern mit Logik. „Mir war klar, dass ich der Favorit war, weil ich so einen großen Platsch gemacht und so viel Aufsehen erregt hatte“, erzählt er. Der „große Platsch“, von dem Faltings hier spricht, war sein Beweis der „Mordellschen Vermutung“, mit dem er immerhin die algebraische Geometrie revolutionierte. Er beantwortete eine Frage, die seit mehr als 60 Jahren ungelöst war, genauer gesagt, seit sie der amerikanisch-britische Mathematiker Louis Joel Mordell 1922 formuliert hatte.
Wie ihm das gelang? Mit sehr viel Hartnäckigkeit. Und dass, obwohl Faltings über sich selbst sagt, dass er nicht besonders fleißig ist. „Ich bin faul“, erklärt er, um direkt hinterher zu schieben: „Aber ich habe Ehrgeiz.“ Wenn etwas wirklich aussichtsreich sei, was nur selten vorkomme, arbeite er daran Tag und Nacht. Und mit aussichtsreich meint der Mathematiker nicht etwa, die öffentliche Anerkennung durch Auszeichnungen. Ihm geht es um die wissenschaftliche Erkenntnis. Um die Aussicht, eine schon lange bestehende mathematische Frage endlich beantworten zu können.
Für ihn selbst fühlte sich die Auszeichnung damals gar nicht so groß an
Faltings war der erste und lange Zeit einzige Fields-Medaillen-Träger in Deutschland. Erst 2018 kam mit seinem Akademie-Kollegen Peter Scholze ein zweiter hinzu. In der Retrospektive klingt das nach einem großen biografischen Moment. Für ihn selbst habe sich die Auszeichnung aber damals gar nicht so groß angefühlt, verrät er im Interview. Das lag weniger an der Fields-Medaille als vielmehr an der Tatsache, dass es zu diesem Zeitpunkt viele erfreuliche Ereignisse in seinem Leben gab, die für ihn keinesfalls eine geringere, vielleicht sogar eine größere Rolle spielten. „Wir waren gerade nach Princeton gezogen. Ich hatte einen richtig guten Job, war frisch verheiratet und ein Jahr zuvor war unsere erste Tochter geboren“, erzählt er.
Wenige Jahre später kam auch seine zweite Tochter in Princeton zur Welt. Faltings hätte an der amerikanischen Eliteuniversität bleiben können. Wissenschaftlich hatte er hier Fuß gefasst. Trotzdem kehrte die Familie 1994 nach Deutschland zurück. Sicher spielte die Aussicht auf einen Direktionsposten am Bonner Max-Planck-Institut, einem der führenden mathematischen Forschungsinstitute in Deutschland, eine Rolle. Den Ausschlag gaben aber private Motive. „Die ganze Verwandtschaft war hier. Deshalb haben wir uns dazu entschieden“, erzählt der gebürtige Gelsenkirchener, der dem Fußballverein seiner Heimatstadt bis heute treu geblieben ist, auch wenn das wie er selbst sagt eine enorme Leidensfähigkeit erfordere.
Als Direktor am Max-Planck-Institut ist Faltings seit dem 1. Januar im Ruhestand. Das hindert den 68-Jährigen aber nicht daran, auch weiterhin jeden Morgen die vielen Stufen im alten Bonner Postamt, das seit 1999 das Max-Planck-Institut beherbergt, hinaufzusteigen. Faltings will hier in seinem Büro mit Blick auf den Münsterplatz auch weiterhin über Mathematik nachdenken. Und wer weiß, vielleicht widerlegt er seine eigene Alters-Theorie und revolutioniert mit seinen Erkenntnissen noch einmal die Mathematik.