Neue Mitglieder 2022: Benjamin List (Klasse für Naturwissenschaften und Medizin)
Lieber Herr Professor Dr. List, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Eine persönliche Frage vorab: Wovon träumen eigentlich Nobelpreisträger? Die höchste wissenschaftliche Auszeichnung haben Sie schließlich bereits erlangt.
Eine höhere Auszeichnung als den Nobelpreis gibt es für einen Wissenschaftler in der Tat nicht. Das ist in meinen Augen schon eine ungeheure, fast zu große Ehre für eine Einzelperson – selbst wenn man sich den Preis mit Kolleginnen oder Kollegen teilen darf. Aber natürlich hört mit so einer Preisverleihung, wie ich sie erleben durfte, das Träumen ja nicht auf. Ich hatte, als die Nachricht vom Nobelpreis mich erreichte, beruflich gesehen gerade die beste Zeit meines Lebens. Und ich habe auch in Zukunft noch vor, weiter Forschung zu betreiben. Wenn Sie mich also nach wissenschaftlichen Träumen fragen: Eine absolute Traumreaktion wäre in meinen Augen die künstliche Fotosynthese, und zwar in großem Maßstab. Konkret meine ich damit: Die Gewinnung von Kohlenstoff und Sauerstoff aus dem CO2 in der Atmosphäre als Ausgangsmaterial für die Industrie, und das mithilfe von Sonnenenergie. So gewännen wir wertvolle Rohstoffe, ohne die natürlichen Ressourcen unserer Erde weiter auszubeuten, und würden gleichzeitig etwas gegen den Klimawandel unternehmen.
Als Akademie freuen wir uns auf den Austausch mit Ihnen. Der fächerübergreifende Dialog ist eine unserer großen Stärken. Sie haben mal gesagt, dass Sie ohne Ihr Vorwissen über enzymatische Antikörper nicht auf die Idee gekommen wären, eine Aminosäure als Katalysator einzusetzen. Heute wissen wir, wie genial diese Idee war. Sie hat die Chemie revolutioniert und Sie wurden dafür 2021 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Antikörper sind aber kein Thema der Chemie, sondern der Biomedizin. Hätten Sie den Nobelpreis ohne den Blick über den eigenen Fächerrand also vielleicht gar nicht erhalten?
Das Erweitern des eigenen Horizonts ist immer eine gute Idee, nicht nur in der Wissenschaft. Und Sie haben schon Recht: Antikörper kennt man in der Tat eher aus anderen Zusammenhängen als aus dem Chemielabor. Doch seinerzeit hatten auch Chemiker Interesse daran. Ende der 80er Jahre war die Forschung an Abzymen – das sind katalytisch wirkende Antikörper, wie sie das Immunsystem bildet - ein heißes Thema. Auch am Scripps, wo ich arbeitete, wurde daran geforscht. Prolin war mir jedoch schon viel früher begegnet, während meiner Studienzeit in Deutschland. Und beides ist ja organischen Materials, die Antikörper und auch das Prolin, wobei letzteres deutlich kleiner und simpler strukturiert ist. So fügte sich Ende der 90er Jahre für mich alles zusammen. Also Blick über den eigenen Fächerrand? Ein ganz klares Ja von meiner Seite. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass fundiertes Wissen im eigenen Fach nötig ist, wenn man in der Forschung voranschreiten möchte. Woher soll man sonst einschätzen können, was man da vor sich hat? Dem Satz „In the fields of observation chance favors only the prepared mind“, das berühmte Zitat von Louis Pasteur, kann ich viel abgewinnen.
Als Sie auf diese geniale Idee gekommen sind, waren Sie gerade einmal 31 Jahre alt. Das war 1999 und Sie haben als junger Assistenzprofessor am Scripps Research Institute im sonnigen Kalifornien geforscht. Schönes Wetter, tolle Strände ... was hat Sie vom Pazifik an die Ruhr gelockt?
Was mich überzeugt hat, war auf der einen Seite das Gespräch mit meinen späteren Kollegen in Mülheim. Und dann war es auf der anderen Seite die Möglichkeit, in die „Max-Planck-Familie“ aufgenommen zu werden. In meinen Augen ist das MPI für Kohlenforschung das beste Katalyseforschungsinstitut der Welt. Die Möglichkeiten, die die Max-Planck-Gesellschaft und vor allem die Kollegen vor Ort mir eröffnet haben, waren einfach fantastisch für einen jungen Chemiker – und sie sind es bis heute. Diese große Freiheit in der Forschung in Kombination mit einer hervorragenden Ausstattung in den Laboren ist einfach grandios und macht die Max-Planck-Gesellschaft in meinen Augen so reizvoll.
Sie sind Nordrhein-Westfalen treu geblieben. Seit 2002 forschen Sie am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Seit 2005 leiten Sie das Institut als einer der Direktoren. Welche Vorteile bietet Ihnen der Wissenschaftsstandort NRW?
Als Max-Planck-Institut werden wir maßgeblich vom Bund und vom Land finanziert, insofern spielt das Land Nordrhein-Westfalen für meine Forschung eine enorme Rolle. Gleichzeitig ist NRW als Standort für eine Forschungseinrichtung deswegen so günstig, weil es im Umfeld so viele Universitäten gibt. Das ist vorteilhaft bei der Akquise von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch, wenn es darum geht, Kooperationspartner zu finden. Ich reise gerne und viel, und da kommt mir das Ruhrgebiet ebenfalls gelegen: wir sind verkehrstechnisch sehr gut angebunden.
Kommen wir noch einmal zurück zu Ihrem berühmten Experiment mit der Aminosäure Prolin. Heute ist die von Ihnen begründetet Methode der organischen Katalyse Standard. Das konnten Sie 1999 aber nicht ahnen. Sie wussten nicht, ob Ihr Versuch gelingt. Vor Ihnen hatte das noch keiner probiert. Zum Glück haben Sie es trotzdem gewagt. Ist Mut also die geheime Zutat für eine erfolgreiche Wissenschaftskarriere oder was würden Sie den Mitgliedern unseres Jungen Kollegs raten?
Follow your enthusiasm! Ich gebe jungen Kolleginnen und Kollegen immer mit auf den Weg, dass sie genau das tun sollen, wofür sie brennen, und nicht etwa das, was gerade im Trend liegt. Das gilt übrigens nicht nur für die Chemie, sondern für das (Berufs-)leben im Allgemeinen. Tut das, worauf ihr wirklich Lust habt. Dabei springt zwar nicht immer unbedingt ein Nobelpreis heraus, aber wenigstens hat man Freude bei dem, womit man seine Zeit verbringt. Seinen eigenen Weg zu gehen erfordert an der ein oder anderen Stelle etwas Mut, denn man fühlt sich unter Umständen ziemlich allein mit dem, was man macht. Das gehört aber, so denke ich jedenfalls, unbedingt dazu, wenn man etwas radikal Neues finden möchte.
Bleiben wir noch kurz beim akademischen Nachwuchs. Unter dem Titel Humboldtⁿ schafft unsere Akademie zusammen mit den NRW-Universitäten zwölf neue Stipendienplätze für nachhaltige Wissenschaft. Die von Ihnen entdeckten organischen Katalysatoren kommen ohne teure Metallverbindungen aus. Das spart nicht nur Geld, sondern schont auch die Umwelt. Ist Nachhaltigkeit ein klares Ziel Ihrer Forschung?
Meine Arbeitsgruppe ist Teil des Max-Planck-Universums, und von daher ist unser oberstes Prinzip erst einmal der Gewinn neuer Erkenntnis und nicht zwingend eine zielgerichtete Forschung. Dennoch geht es an unserem Institut natürlich darum, chemische Prozesse durch Katalyseforschung zu optimieren. Und Katalyse, das sage ich immer wieder, ist per se eine nachhaltige Technologie: Denn durch Katalyse laufen chemische Reaktionen mit viel weniger Energieaufwand ab. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Organo-, sondern für alle Formen der Katalyse. Das Faszinierende dabei: Der Katalysator selbst wird bei diesen Reaktionen nicht verbraucht, sondern kann immer wieder verwendet werden. Nachhaltiger geht es wohl kaum!
Und noch eine Frage zum Schluss: Als Institutsleiter aber vor allem als Nobelpreisträger stehen Sie und Ihre Arbeit im Fokus der Öffentlichkeit. Wären Sie manchmal gerne noch einmal 31 und würden im sonnigen Kalifornien einfach ein Experiment wagen – ganz gleich, ob es gelingt oder nicht? Oder sind Sie heute noch genauso wagemutig wie damals?
Noch einmal mit Anfang 30 an den Strand im sonnigen Südkalifornien? Klar, warum nicht?! Aber Scherz beiseite: Natürlich stehe ich heute ganz anders im Fokus der Öffentlichkeit als vor rund 20 Jahren. Während einem jungen Forscher häufig viel Skepsis entgegengebracht wird, geht man mit den älteren, bereits bekannteren Kolleginnen und Kollegen weniger kritisch um. Einem Assistant Professor widerspricht es sich leichter als einem Nobelpreisträger, schätze ich. Doch auch heute gehe ich mit dem gleichen Enthusiasmus an meine Projekte heran. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich als junger Wissenschaftler zum Teil wirklich Furcht hatte und eine gewisse Unruhe verspürte, weil ich nicht wusste, ob meine Ideen gut waren. Heute ist es sogar so, dass ich dieses unbequeme Gefühl geradezu suche, da es für mich gute, neue Ideen notwendigerweise begleitet.