Neue Mitglieder 2022: Corinna Belz (Klasse der Künste)
Laut scheppernd rattert der Lastenaufzug an der Außenfassade des Kölner Doms hinauf. Auf der zweiten Ebene steigen wir aus, betreten die gotische Kathedrale über den Dachstuhl und gelangen ins Triforium. Der schmale Laufgang in der Hochwand des Sakralbaus führt uns zu unserem Ziel. Nach wenigen Minuten stehen wir direkt vor dem Südquerhausfenster, besser bekannt als das „Richter-Fenster“.
Corinna Belz hätte den Weg auch ohne Begleiter gefunden. Die Kölner Dokumentarfilmerin hat hier oben viele Stunden verbracht. 15 Jahre ist das her. 2007 erhielt das 106 Quadratmeter große und im Zweiten Weltkrieg zerstörte Fassadenfenster eine farbige Verglasung nach einem Entwurf von Gerhard Richter. Belz begleitete die Entstehung des Kunstwerks mit der Kamera.
„Ich wollte keinen Film machen, in dem Kuratorinnen und Kuratoren etwas über Herrn Richter erzählen.“
Aus dem Kölner Stadtanzeiger hatte sie damals von den Fenster-Plänen erfahren. „Eine Musterscheibe war auf der Titelseite abgebildet und dazu ein kleiner Artikel“, erinnert sie sich. Das Thema reizte Belz sofort. Sie rief in Richters Atelier an, wo man sie an die Dombaumeisterin verwies. Diese war von der Filmidee zunächst jedoch alles andere als begeistert. Schließlich ließ sie sich aber überzeugen und auch Richter willigte ein, wenn auch mit der für ihn typischen medienscheuen Haltung. „Wunderbare Idee. Machen sie das aber ich stehe dafür nicht zur Verfügung“, ließ er Belz ausrichten.
Wer den Film gesehen hat, weiß, dass es der Filmemacherin dennoch gelungen ist, den Künstler für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, aus der zuletzt der abstrakte Film "Moving Picture (946-3)" hervorging, für den der Amerikaner Steve Reich und die Britin Rebecca Saunders Kompositionen schrieben.
Aber zunächst folgte 2011 „Gerhard Richter Painting“, Belz bislang bekanntester Film, für den sie mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet wurde. Über zehn Monate lief der Film in den deutschen Kinos, neun Wochen im New Yorker Filmforum und in sechzig amerikanischen Städten. Der Film war ein wahnsinniger Erfolg, denn Belz verschaffte den Zuschauerinnen und Zuschauern einen einzigartigen Einblick in Richters künstlerische Arbeitsweise.
„Im Tun tritt alles zu Tage. Ich wollte keinen Film machen, in dem sich Kuratorinnen und Kuratoren die Bälle zuschmeißen und etwas über Herrn Richter erzählen." Stattdessen filmte sie den Maler überwiegend in seinem Atelier bei der Arbeit.
Richter ist aber längst nicht der einzige Künstler, den Belz in einem sehr authentischen Film porträtiert hat. 2016 feierte ihre Dokumentation über den Schriftsteller Peter Handke auf dem Filmfestival von Locarno Premiere. Aktuell arbeitet sie an einem Film über den Düsseldorfer Bildhauer und Zeichner Thomas Schütte. Und es sind auch nicht immer die Künstlerinnen und Künstler und ihr Werk, die Belz Interesse wecken. Manchmal sind es auch die Orte, an denen diese Werke zu sehen sind. So erkundete die Filmemacherin für eines ihrer jüngeren Projekte das zweitälteste Museum der Welt, die Uffizien in Florenz.
„Das war eine wunderbare Erfahrung, aber ich fand es auch furchtbar langweilig.“
Das Ergebnis ist ein rund 1,5 Stunden langer Film, der im November 2021 in die Kinos kam. Wie viel Arbeitszeit dahinter steckt, kann der Zuschauer nicht einmal erahnen. Drei bis vier Jahre arbeitet Belz in der Regel an ihren Filmen. Immer tiefer dringt sie dabei in die Thematik vor und könnte – wie sie selbst sagt - zu so manchem Film eine Doktorarbeit schreiben. Auf diese Weise gelingt es ihr, selbst ausgewiesene Kunstkenner mit ihren Dokumentationen zu überraschen. Gleichzeitig richtet sich ihre Arbeit an die breite Öffentlichkeit. Sie will den Menschen eine Tür öffnen. Wer Richter beim Malen über die Schulter schauen konnte, gesehen hat, wie eine Serie von abstrakten Bildern entsteht, betrachtet vielleicht auch seine Werke im Museum mit anderen Augen.
Um den Zuschauerinnen und Zuschauern diesen Einblick zu ermöglichen, braucht es laut Belz vor allem Empathie, Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz. Diese Eigenschaften nennt die Dokumentarfilmerin deshalb auch auf die Frage, welches Handwerkszeug junge Filmemacherinnen und Filmemacher mitbringen sollten. Eine gewisse Risikofreude sei ebenfalls hilfreich, insbesondere, wenn man wie sie keine gescripteten Spielfilme, sondern Dokumentarfilme machen wolle. Denn ein Drehbuch gibt es bei ihr meistens nicht. Für die Filmemacherin macht aber genau das, den Reiz ihrer Arbeit aus. Nach dem Studium habe sie kurzzeitig in der Spielfilmbranche gearbeitet, erzählt sie. „Das war eine wunderbare Erfahrung, aber ich fand es auch furchtbar langweilig.“
Und so wurden Dokumentarfilme zu ihrer Leidenschaft. Wie sehr sie diese Arbeit liebt, ist hoch oben auf der steinernen Empore vor dem „Richter-Fenster“ im Kölner Dom nicht zu übersehen. Während die Vormittagssonne durch die mehr als 11.000 bunten Glasquadrate bricht und auf Fußböden, Fassaden und Säulen ein besonderes Farbspiel entsteht, kommen Erinnerung und Begeisterung von ganz allein.