Moving Bodies | Moving Minds: Interdisziplinäre Perspektiven auf Bewegung und ihre Grenzen

Die Veranstaltung Moving Bodies | Moving Minds bot einen facettenreichen Einblick in wissenschaftliche, künstlerische und kulturgeschichtliche Perspektiven auf Bewegung und deren Einschränkungen – von der Antike bis in aktuelle medizinische, psychologische und gesellschaftliche Diskurse.

In einem abwechslungsreichen Programm brachten die Mitglieder des Jungen Kollegs vielfältige Perspektiven auf Bewegung und Gesundheit zusammen – von historisch-philologischen über medizinische und psychologische bis hin zu religiösen und choreografischen Ansätzen. In kurzen Impulsen zeigten sie, wie sich Bewegungsformen über verschiedene Entwicklungsphasen hinweg verändern, wo die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit verschwimmen und auf welche Weise Bewegung kognitive Fähigkeiten fördern kann. Ergänzend wurden sowohl kulturvergleichende Vorstellungen von Heilung und Unheil als auch theologische Ideen eines himmlischen Lebens ohne körperliche Einschränkungen beleuchtet. Darüber hinaus lud eine partizipative Musikperformance das Publikum dazu ein, selbst aktiv zu werden und die Verbindung von Bewegung und Klang unmittelbar zu erleben.

Den Auftakt bildete ein Impulsvortrag von Dr. Riccardo Vecchiato und Dr. Svenja Bonmann (Universität zu Köln), die antike und frühmittelalterliche magische Texte aus verschiedenen Sprachräumen vorstellten. Anhand von Fluchtafeln in Altgriechisch, Latein, Gallisch, Althochdeutsch und Vedisch zeigten sie, wie Personen  - darunter ein Läufer, ein Tänzer und ein Gladiator – mithilfe magischer Formeln „gebunden“ und in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt werden sollten. Ergänzend präsentierten sie Heilformeln, die im Gegenteil die Wiederherstellung von Bewegung, etwa bei Blindheit oder Knochenbrüchen, zum Ziel hatten. So wurde deutlich, wie eng Vorstellungen von Bewegung, Gesundheit und übernatürlichen Kräften in vormodernen Kulturen miteinander verknüpft waren. 

Im Anschluss stellte die Medizinerin Dr. med. Maike Dohrn (Uniklinik RWTH Aachen) aktuelle medizinische Herausforderungen am Beispiel der Charcot-Marie-Tooth-Neuropathie vor – einer seltenen erblichen Erkrankung, die zu fortschreitender Muskelschwäche und erheblichen Einschränkungen der Mobilität führen kann. Sie skizzierte die komplexen genetischen und molekularen Hintergründe sowie die Schwierigkeiten, den natürlichen Krankheitsverlauf präzise zu erfassen. Trotz großer Hoffnungen auf neue Therapien unterstrich sie den weiterhin hohen Forschungsbedarf auf dem Weg zu einer ursächlichen Behandlung.

In der Pause folgte ein künstlerischer Kontrapunkt: Jun.-Prof. Dr. Lawrence Wilde (Universität Siegen) und die Choreographin Esther Murdock (Folkwang Universität Essen) präsentierten eine Performance, in der Bewegung mittels einer eigens programmierten Musiksoftware in Klänge übersetzt wurde. Die Aufführung, die sich räumlich und rhythmisch an die Gegebenheiten der Akademieräume anpasste, erzeugte ein einmaliges Zusammenspiel aus choreografischer Bewegung und Live-Klanggestaltung. Anschließend konnten die Teilnehmenden an mehreren interaktiven Stationen selbst erproben, wie unterschiedliche Bewegungen individuelle akustische Muster hervorbringen.

Einen weiteren interdisziplinären Zugang bot Dr. Lisa Musculus (TU Dortmund). In ihrem sportpsychologischen Vortrag betrachtete sie das Zusammenspiel motorischer und kognitiver Prozesse in Sport, Bildung und Gesundheit. Aus einer Embodied-Cognition-Perspektive zeigte sie auf, wie Denken und Bewegung sich wechselseitig beeinflussen und gemeinsam entwickelt werden. Anhand empirischer Studien – etwa zu Planungsprozessen im Klettern – illustrierte sie sowohl die Verknüpfung von motorischen und kognitiven Fähigkeiten als auch deren Trainierbarkeit. Die vorgestellten Befunde spannten einen Bogen zu Themen wie Sprache, Entwicklungs- und Gangstörungen sowie Tanz und knüpften somit an die vorherigen Beiträge an. 

Den Abschluss bildete ein Vortrag von PD Dr. Ruben Bühner (Universität Bonn), der eine dis/ability-kritische theologische Perspektive auf gesellschaftliche Vorstellungen von Behinderung eröffnete. Ausgehend von neutestamentlichen und antikjüdischen Traditionen diskutierte er die darin angelegten Normalisierungstendenzen und problematisierte Vorstellungen, die Heil(igkeit) an körperliche „Unversehrtheit“ koppeln. Statt einer Fokussierung auf medizinische „Behebung“ plädierte er – etwa anhand des Gleichnisses vom großen Gastmahl (Lk 14,15-24) – für ein Verständnis, das Menschen in ihrer gegebenen körperlich-geistigen Verfasstheit anerkennt und kulturelle Zuschreibungen von Behinderung kritisch hinterfragt.

Die Veranstaltung machte eindrucksvoll sichtbar, wie breit das Spektrum an Deutungen und Dimensionen von Bewegung sein kann – von magischen Vorstellungen über neurologische Forschung und künstlerische Praxis bis hin zu psychologischen und theologischen Zugängen. Gemeinsamer roter Faden war dabei die Frage, wie Körperlichkeit, Mobilität und ihre Einschränkungen verstanden, gestaltet und gesellschaftlich verortet werden. 

Zu den Fotos von dieser Veranstaltung