Nichts bleibt wie es ist: Von alternden Molekülen in humanen Geweben und deren Nutzbarkeit zur Klärung forensischer Fragestellungen

Prof. Dr. med. Stefanie Ritz, Universitätsklinikum Düsseldorf

Sowohl im Verlauf des Lebens als auch nach dem Tod zeigen sich in bestimmten Geweben des menschlichen Körpers molekulare Veränderungen, deren Analyse zur Klärung relevanter Fragen in unterschiedlichen Kontexten beitragen kann.

Ein in der Rechtsmedizin wichtiges einschlägiges Forschungsfeld ist die „molekulare Lebensaltersschätzung“, die insbesondere die Akkumulation von D-Asparaginsäure und Pentosidin in alternden Eiweißen sowie die DNA-Methylierung an bestimmten Genorten nutzt. Entsprechende Verfahren liefern mittlerweile sehr präzise Lebensalterschätzungen, insbesondere bei Nutzung mehrerer Parameter in multivariaten Modellen. Im forensischen Kontext werden diese Ansätze vor allem im Rahmen der Identifizierung unbekannter Ver- storbener eingesetzt, die in Zeiten der Globalisierung immer häufiger notwendig wird und von großer praktischer Bedeutung ist – nicht nur für die Klärung von Tötungsdelikten, sondern auch für Angehörige der Verstorbenen.

Möglichst präzise Lebensaltersschätzungen sind auch im Feld der Anthropologie/Archäologie, also bei sehr alten (Skelett)-Funden interessant; hier geht es beispielsweise um ein besseres Verständnis der Lebensaltersstruktur früher Populationen oder auch einzelner Schicksale in alten Tagen. Erste Untersuchungen an bis zu 8000 Jahre alten Zähnen weisen darauf hin, dass Pentosidin über so lange Zeit stabil bleiben und für Lebensalterschätzungen genutzt werden kann, was völlig neue Möglichkeiten in diesem Feld eröffnen könnte.

Die für die molekulare Lebensaltersschätzung genutzten Parameter (D-Asparaginsäure, Pentosidin, DNA-Methylierung), können während des Lebens durch Erkrankungen sowie nach dem Tod durch äußere Faktoren beeinflusst werden. Dies kann einerseits zu Fehler- quellen bei der Lebensaltersschätzung führen, eröffnet aber andererseits auch weitere Einsatzmöglichkeiten der Analyse dieser molekularen Veränderungen, z. B. zur Klärung der Frage nach bestimmten Erkrankungen oder zum Nachweis bestimmter Bestattungsriten. Gealterte Moleküle tragen viel Informationen in sich – wir müssen nur lernen, sie zu lesen.

Prof. Dr. med. Stefanie Ritz: Nach einem Studium der Humanmedizin an der Justus- Liebig-Universität Gießen (1981–1988) erfolgte eine Weiterbildung zur Ärztin für Rechtsmedizin (Institut für Rechtsmedizin sowie Institut für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Forensisch-psychiatrische Abteilung der Fachklinik Neustadt). Die Anerkennung als Ärztin für Rechtsmedizin erhielt ich 1996. Ich promovierte 1990 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit einer Arbeit zum Thema „Probleme der postmortalen Diagnostik von Digoxin-Intoxikationen“. 1998 erhielt ich nach Habilitation die Venia Legendi für das Fach Rechtsmedizin (Thema der Habilitationsschrift: „Nutzbarkeit der in-vivo-Razemisierung von Asparaginsäure zur Lebensaltersbestimmung“).

Seit 2004 habe ich den Lehrstuhl für Rechtsmedizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) inne und bin Direktorin des Institutes für Rechtsmedizin im Universitäts- klinikum Düsseldorf.

An der Medizinischen Fakultät der HHU war ich von 2007 bis 2019 Studiendekanin. Ich bin Mitbegründerin und Projektleiterin des seit 2013 existierenden Mentoringprogramms A2 für Studierende der Human- und Zahnmedizin der Medizinischen Fakultät der HHU. Seit 2004 bin ich Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM). Von 2014 bis 2019 war ich erste Vizepräsidentin der DGRM, seit 2019 bin ich deren Präsidentin.

2001 wurde ich mit dem Konrad-Händel-Stiftungspreis für Rechtsmedizin der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin ausgezeichnet, 2009 mit dem Lehrpreis der HHU und 2012 mit der Universitätsmedaille der HHU. Seit 2017 bin ich Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Meine Forschungsschwerpunkte sind die molekulare Lebensaltersschätzung (hier insbesondere posttranslationale Proteinmodifikationen) sowie die Versorgung gewaltbetroffener Menschen.